Gourmetkritik

 

Die kleine Ehegemeinschaft lebte schon jahrelang traulich Seit an Seit. In dieser langen Zeit hatte man sich nicht nur trefflich aneinander gewöhnt, sondern es war dem Paar auch gelungen den jeweiligen Fußangeln, die eine peinlich lange Beziehung eben mit sich brachte, großzügig zu umschiffen.

 

Der Vorteil eines solchen Arrangements lag auf der Hand, potentielles Konfliktpotential war inzwischen weitestgehend ausgeräumt.

Beinahe jedenfalls! Eine Winzigkeit machte dem guten Mann auch nach all den vielen Jahren zu schaffen. Seine Holde hatte einen Hang zur Bemängelung. Nicht zu irgendeiner Art von Besprechung, sondern der Frau seines Lebens hatte es die Gourmetkritik angetan.

 

Nun war die Liebe seines Lebens in keinem Feuilleton zu finden. Weder im kleinen Lokalblättchen noch in der Frankfurter Allgemeinen und schon gar nicht im TV. Aber das war auch nicht weiter verwunderlich, denn es gab etwas, was die Liebe seines Lebens noch mehr verachtete als mittelmäßigen Genuss; die Öffentlichkeit.

 

So war es meist der geneigte Göttergatte, der den Vorzug erhielt, die Analyse des eben Aufgetragenen zur Kenntnis zu nehmen. Und dabei war seine Gemahlin keineswegs wählerisch. Es musste beileibe kein sieben Gänge-Menü in einem Gourmettempel sein, um ihr Urteil herauszufordern.

Auch ein gewöhnlicher aber schlecht zubereiteter Cappuccino konnte sie bereits zur Weißglut treiben. Sollte sich unter dem, auf den ersten Blick einladenden Milchschaum nur ein überhitztes Milchmixgetränk befinden, konnte sie auch gern mal aus der Haut fahren. Und das war nicht schön.

Weder für den gastgebenden Caféhausbetreiber noch für den leidgeprüften Gatten. Mit den Worten: „Gehst Du oder soll ich?“, nur um gleich nachzuschieben, „Aber Du weißt, wenn ich gehe wird’s blutig!“

 

Aber auch er selbst wurde von den schneidenden Urteilen, die seine liebe Frau zu fällen pflegte, nicht unbedingt verschont. Gleichwohl sie bei ihm eine gewisse Milde walten ließ. So wurden seine Fauxpas, die ihm gelegentlich bei der Speisenbereitung unterliefen, wie ein zu feinporiges Ciabatta zum Beispiel, lediglich mit einem fragenden Augenaufschlag bedacht oder einem leisen Brummen, wie weiland March Simpson, wenn Homer seine Bierdosen nicht weggeräumt hatte. Die aufrichtigen Bemühungen, die er bei der Zubereitung an den Tag gelegt hatte, wischte die Holde beiseite, wie ein lästiges Insekt. Gleichwohl hielt sie sich merklich zurück, dass wusste er. Schmerzen bereitete es dennoch. Zumal die Übersetzung für Ciabatta am ehesten Pantoffel entsprach, was in diesem besonderen Fall auch irgendwie passend schien.

 

Allerdings hatte diese kleine Marotte inzwischen auch ihr Gutes. Ein Restaurantbesuch konnte Dank der Fähigkeiten seiner Gemahlin zumindest zu einem unterhaltsamen Ereignis werden. Vergleichbar mit einem Kinobesuch etwa.

So war seine Gattin inzwischen bei den Restaurationsbetrieben der Region berüchtigt. Öffneten sich die Türen eines Lokals und seine Holde schwebte herein, glaubte der vergnügte Göttergatte in die Gesichter von Saloon Gästen zu blicken, wenn der Pistolero im Italowestern die Flügeltüren aufstieß. Und während sie von einem leicht schlotternden Kellner zum Tisch geleitet wurden, konnte man sehen, wie der erbleichte Patron in die Küche stürmte, um seine Mannschaft in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen.

 

Die Bestellung wurde aufgegeben, die Getränke gereicht und schließlich die Speisen aufgetragen. Dem trauten Ehepaar blieb dabei nicht verborgen, dass bei jeder Reichung ein neuer Kellner an den Tisch trat. Und während seine Gemahlin sich noch wunderte, wusste der gute Mann den Grund nur zu gut. Aus vertraulichen Gesprächen hatte er erfahren, dass die psychologische Belastung für das meist junge Servicepersonal einfach zu heftig war, um mehrfache Bedienungsvorgänge zu überstehen.

 

Jede Regung, jede Mimik wurde mit bangen Augen verfolgt und als schließlich der Moment der Rechnung kam und mithin der Urteilsbildung, hatte der aufmerksame Göttergatte nicht selten den Eindruck, dass der Restaurantbetreiber jenes Damoklesschwert, welches seit dem Moment der Einkehr über der Speisenausgabe hing, vom Rosshaar abnahm, um es seiner lieben Frau zu überreichen, damit sie es zur Verkündung ihrer Kritik griffbereit hatte.

 

Stille trat ein. Vergleichbar mit jener Ruhe auf dem Place de la Concorde, bevor die Guillotine auf den bedauernswerten Delinquenten niedersauste.

 

Das war denn auch jener Moment, wo der umsichtige Gemahl einschritt.

Jovial nahm er die Mappe mit dem Beleg und schritt weltmännisch zur Theke. Ein erleichtert wirkender Patron reichte großzügig seinen teuersten Cognac, bot eine gute Habano an und fingerte den Rechnungsbeleg aus der Mappe. Nachdem der Betrag ordentlich zusammengestrichen und wohlwollend beglichen war, kehrte der Herr des Hauses beschwingt zum Tisch zurück.

 

So verließen die zufriedenen Eheleute das Speiseetablissement und während die Holde noch fragte, ob was gewesen sei, meinte er hinter den eben geschlossenen Pforten lauten Jubel zu vernehmen.