Der Reiseverweigerer
Eines stand mit Sicherheit fest, er hasste es zu reisen!
Am liebsten schlief er in seinem eigenen Bett, stand am eigenen Herd und folgte in seinem eigenen Sessel dem anspruchsvollen Fernsehprogramm.
Seine holde Gemahlin hingegen war aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Sie war die personifizierte Reiselust! Ob erhellende Städtereisen, ausgedehnte Bildungstouren oder lediglich entspannende Erholungsurlaube. Sie konnte sich an allem erfreuen und der Reisekatalog war ihre liebste Bettlektüre.
Er hätte sich fortwährend übergeben mögen!
Sie hatten eben eine achttägige Mittelmeerkreuzfahrt wohlbehalten hinter sich gebracht. Hatten in endlosen Schlangen angestanden, um an etwas Essbares zu gelangen, waren von überdrehten Animateuren von morgens, bis spät in die Nacht malträtiert worden und hatten immer in der Frühe ihre Bahnen im Swimmingpool gezogen, bevor die kleinen Bälger ihre Blasen im Wasser entleerten.
Angeschlagen, wie er war, hatte er sich auf seinen geliebten Ohrensessel zurückgezogen und leckte seine imaginären, weil inneren Wunden, wie eine Löwin, nach einem verlorenen Kampf mit einem Streifengnu, als seine liebe Frau, kaum hatte sie die erste Waschmaschine angeschmissen, auch schon fröhlich pfeifend den frisch eingetroffenen Reisekatalog auf den Küchentisch platzierte.
Als er noch jünger und in besserer Verfassung war, hätte er lediglich geseufzt. Hätte sich ein ordentliches Glas Rotwein eingeschenkt, sich eine nicht zu knapp bemessene Scheibe leckeren und mithin knusprigen Brotes, selbstredend aus heimischen Ofen abgeschnitten, welches er den tiefsinnigen Namen Heimatkruste gegeben hatte. Dieses würzige Roggenmischbrot wäre mit ordentlich Schwartenmagen belegt worden, um dann den weiteren Plänen seiner Holden, wenn auch unter Schmerzen, geduldig entgegen zu blicken.
Aber diese Tage waren vorüber. Unwiederbringlich! Wenn er seine verbleibenden Tage auf dieser schönen Erde noch genießen wollte, dann müsste er endlich etwas unternehmen. Und weil er einerseits seine Angetraute abgöttisch liebte und ihr andererseits absolut nichts abschlagen konnte, brach sich tiefe Verzweiflung bahn.
Er blickte zum Himmel, sandte ein flehentliches Stoßgebet, aber die erhoffte Antwort blieb aus.
Dann kam einer dieser TV-Krimiabende, die das Ehepaar so schätzte. Es wurde eine französische Produktion gegeben. Sie spielte in der Bretagne. Es war ein dunkler Thriller, der sowohl die Gegend als auch die Einheimischen in ein ziemlich schlechtes Licht rückten. Eine gelungene Produktion, wenn man von der verstörenden Düsternis einmal absah.
Man war sich einig, den Abend zu beschließen und zu Bett zu gehen. Er war schon auf den Weg ins Schlafgemach, als er seine geliebte Gattin dabei beobachtete, wie sie den neuen Katalog in den Ascheimer warf, mit den Worten: „Da fahren wir jedenfalls nicht hin!“
Und mit einem Mal, man hätte es für ein Flackern einer schon altersschwachen Glühbirne halten mögen, da traf ein flüchtiger Lichtschein das Antlitz des erschöpften Ehegatten und er wusste, er war doch noch erhört worden.
Das er, kaum dass seine Gattin sich schlafen gelegt hatte, noch einmal aufbrach, um unter Aufbringung seines gesamten Taschengeldes sämtliche Kerzen der örtlichen Pfarrkirche zu entzünden, war da nur Ehrensache!
Fortan hatte der Gute eine Handlungsanweisung, quasi von höchster Stelle, an die Hand bekommen. Gleich morgens, wenn der Postbote fröhlich den Briefkasten zum Klappern brachte, ließ er es sich nicht nehmen, die Tagespost an sich zu nehmen und ordnungsgemäß für seine Gemahlin zu kuratieren. Selbstverständlich legte er die neuen Reiseprospekte gleich oben auf.
Sie dankte es ihm mit einem lieben, wenn auch leicht irritierten Lächeln.
Von nun an hatte der Erleuchtete einen Plan. Wenn seine Holde den Tag über sich inniger mit einem, der bereitgelegten Kataloge beschäftigte, dann wusste der Vorbereitete natürlich, auf welche Destination die zukünftigen Reisegelüste seiner Gemahlin hinausliefen. Entsprechend plante der gute Mann den Fernsehabend. Dem umfangreichen Senderangebot und den unerschöpflichen Streamingdiensten sei Dank, war es selten ein Problem, das Passende auszuwählen.
Hatte seine Gemahlin am Vormittag längere Zeit über einem Druckerzeugnis gebrütet, welches einen Ausflug an den Bodensee nahelegte, dann konterte der Gatte zielsicher mit „Den Toten vom Bodensee“, die handelnden Personen luden tatsächlich nicht zum Verweilen ein. Kam eine Reise nach Schweden in die engere Auswahl, half totsicher immer ein „Wallander“, egal welcher, die Depression war unübertrefflich. Und wenn ein Erholungsurlaub an der Müritzer-Seenplatte kurz vor der Buchung stand, war ein ostdeutscher Tatort das Mittel der Wahl.
So gelang es dem, reisegeplagten Göttergatten in der Folge, mühelos das Schlimmste abzuwenden. Nur ab und an erlaubte er seiner Geliebten noch eine Reise, eine kurze. Innerhalb Deutschlands, in einen mondänen Kurort meist. Den Rest hatte er ihr schon erfolgreich vermiest.
Sie dankte es ihm dann mit ihrem sonnigen Gemüt und er freute sich, dass sie sich freute!
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